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Die Dekonstruktion der Wand des Ruhms

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Dieser Text war seit Februar in meinem Editor offen. Der Abriss der Hall of Fame in der Wolfsburger Dieselstraße und meiner Empathie ihr gegenüber, jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, ließ mich daran zurück denken, was ich dort einst erlebt hatte. Ich sehe jeden Tag die Veränderungen in dieser Stadt und frage mich was Stein und Beton mit einem einem Gefühl von Zuhause gemein hat. Oft sind es genau diese leblosen Materialen, die einen umarmen wenn es kein Anderer tut.

Dieser Text war seit Februar in meinem Editor offen. Der Abriss der Hall of Fame in der Wolfsburger Dieselstraße und meiner Empathie ihr gegenüber, jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, ließ mich daran zurück denken, was ich dort einst erlebt hatte. Ich sehe jeden Tag die Veränderungen in dieser Stadt und frage mich was Stein und Beton mit einem einem Gefühl von Zuhause gemein hat. Oft sind es genau diese leblosen Materialen, die einen umarmen wenn es kein Anderer tut.

Dekonstruktion

Veränderung ist unaufhaltbar, sie schmerzt und die Realisierung davon ist Teil des Erwachsenseins. Ein gelebter Stumpfsinn, nicht mehr das auf der Haut kleben zu haben was dort einmal war. Die Teenagerjahre, Hormone, alles intensiver wahrzunehmen. Nichts scheint ohne Grund in diese Welt, dieser Stadt, materialisiert worden zu sein. Jede Stumpfheit des Lichts scheint in sommerlichen Nächten nur für einen selber, für seine Sehnsüchte, die Person die neben einem sitzt, oder es eben nicht, weil sie nichts von einem weiss. Seiner Stadt die Liebe zu erweisen, die sie sonst nicht hat, das Auszudrücken in purem Vandalismus und doch nicht mutig genug alle Wände voll zu malen. Aber es gab da diese eine Wand. Schicht und Schicht wächst sich aus sich selber heraus. Lack wächst und wächst, bis das eigene Gewicht sie zum Einsturz bringt.

Mit 13-14 Jahren waren die Wände dieser Stadt Leinwände, bunt, voll mit Zeichnungen, jeder Strich schien seinen Weg vorbestimmt abzuschreiten. Ich versuchte mit meinem Nacken die Geschwindigkeit des Autos meiner Eltern, in der Fahrtrichtung auszugleichen, wie einzelnen Bestandteile eines Zoopraxikops, die Bilder zu erspähen, etwas zu erkennen, einzuordnen wer dahinter stehen könnte, Orte im Kopf zu sammeln an denen ich neues entdecken konnte oder die alleinige Wiederholung des Betrachtens zu genießen. In meinem Zimmer fuhr ich die Tags mit meiner imaginären Sprühdose vor meinem inneren Auge immer wieder ab, die Bilder so bunt wie die Bilder im Kopf eines heranwachsenen Kindes.

In einer Jugendgruppe lernte ich einen Jungen kennen. “V”. Er war 6-7 Jahre älter als ich. Er schien so unerreichbar für mich, das was er auf seinen T-Shirts trug, die Musik die er spielte und die kleinen Zeichnungen nach denen jedes Kind fragte, ließen ihn für mich aufsteigen, die Bewunderung und Faszination war nicht mehr zurück zu halten. Unerklärlich, dass ich ihn eines Winters mal besuchte, ich meine Scham vor Menschen überwinden konnte. Ich spielte Schlagzeug und über diese Tatsache verließ ich seine Wohnung mit einem Rucksack voller CD’s, alles was ihm wichtig erschien, alles was es braucht um seine Adoleszens zu überleben. Es waren Hausaufgaben. Wir fingen an Musik zu machen, jeden Samstag morgen fuhr ich mit meinem Fahrrad, durch den Schnee, zum Proberaum. Aus dem Inhalt der CD’s, dem Gesagten und seiner Vision versuchte ich alles in das Schlagzeug zu hämmern was meine mickrigen Arme an Kraft heraufbeschwören konnten. Manchmal nahmen wir diese Stücke auf. Schrieben welche für Freunde von uns, bemalten die Papiereinlagen der Kasettenhüllen.

Jeden Freitag gab es ein Treffen in einem Nebengebäude der Kirche. Wir hörten CD’s, aus unseren vollgepackten Rucksäcken, eine Auswahl nur für diesen Abend, lagen auf den Sofas und schoben uns Skizzen über den Holztisch. Er zeigte mir, dass die Schatten meiner Buchstaben falsch waren. Ich nahm Platz neben ihm in seinem silbernen Golf 1, einen Discman, gelagert auf schockabsorbierenden Schaumstoff, per Audiowandler-Kasette angeschloßen, die Musik laut, sein Fahrstil zackig den Punkrythmen, dem Schreien der Stimmen. Wir fuhren fast jeden Tag zur Hall of Fame. Diese einige Meter lange Wand in der Dieselstraße, als Teil des Aussenmauern einer Jugendwerkstatt. Auf der anderen Seite eingezäunte Müllwagen. Dort wo sich kaum einer stören konnte wenn wir Löcher in die leeren Sprühdosen schlugen, das Zischen der letzten Wolken Aerosol für das Fertigen eines Bildes uns mit stolz erfüllte. Wir parsten die Bilder beim vorbeifahren, fuhren langsam, drehten um, hielten an. Malten wir selber, verkühlten wir unsere Handflächen, im Winter, am Aluminium der Dosen. Jeden Tag der selbe Ablauf, nichts zählte an diesen Tagen mehr als diese sich wiederholenden Runden in das Industriegebiet, weit hinten in der Stadt. Zuhause bezeichnete ich Papier um Papier, Linie für Linie, kopierte meine Idole, erreichte sie niemals, war stolz aber nicht zufrieden. Die Second-Outlines varierten zu stark in dem inneren Abstand zu ihren bewegungsbestimmenden Linienlettern und die Fluchtpunkte der angedeuteten Schatten versagten regelmäßig. Ich denke meine Frustration über meine Unfähigkeit verblasste, sobald ich an dieser Mauer stand, zitternd, Musik die aus den runtergekurbelten Fenstern dieses silbernen Autos schallte, mein Freund neben mir, Zettel mit der Skizze in der Hand, und kein Auge für die Propertionen bei der Übertragung vom Papier auf eine Wand, auf die oberste Lackschicht von hunderten zuvor geopferten Leichen. Am Ende ein Beweisfoto, der Duft des Treibmittels überlebte den Rest des Tages in unserer Kleidung. Die Musik schien jetzt noch lauter. Abends dann noch eine Runde zur Wand, überprüfen ob das Bild den Rest des Tages überlebt hatte.

Meine Fähigkeiten gingen immer mehr in dem Talent der Anderen unter. Ich war stolz auf sie, trotzdem gebrochen von meiner Talentlosigkeit. Eine Zugehörigkeit heilt die eigene Unsicherheit. Ich betrat jeden Wochentag den Eingang meiner Schule und die Ignorierung meiner war mir auf einmal egal. In Freistunden nahm ich den Weg zu Fuß auf mich, setzte mich nur wenige Minuten auf die Kante gegenüber der Wand, verfolgte die Linien mit meinen Augen, sammelte Eindrücke zur Führung des Fineliners auf dem Papier. Wenn man sich nicht traut Nachts in schwarzen Kapuzenpullovern durch die Straßen der Stadt zu ziehen, den Rucksack gefüllt mit Dosen, die extra großen, Silber das überall deckt, Schwarz eigentlich zum Lackierung der Autounterböden, die Ruhe zwischen den Schichten im Werk und dem Schlaf der Bevölkerung, bleiben diese Gänge kurz vor dem Einschlafen durch die Gedanken ein Ausleben der Mitgliedschaft einer Geheimgesellschaft. Es sind Markierungen, Zeichen an der Wand und welche die sie zu schätzen wissen, projizieren eine völlig neue Ebene über dieser Stadt. Plötzlich scheinen die Wände Silber und für mich im buntesten Bunt.

Eines Nachts, die Sterne schienen breit und die zwei Straßenlampen wurden kaum gebraucht, die runde Mond als überirdischer Strahler, standen wir mit einer Palette von abgelaufenden Flaschen oranger Abdeckfarbe vor der Wand. Erst schauten wir uns an, blickten für einen Moment auf die bunte Wand vor uns, wanderten mit den Augen die zu malernden Meter an. “V” grinste und wir legten los. Nur eine Leiter für die Hälfte der gesammten Wand. “V” markierte die Mitte mit einem Strich, gezogen mit der Stirnseite einer, mit Farbe bekleckerten, Farbrolle. “V” stieg als erstes auf die Leiter und ich füllte die untere Hälfte mit dem Orange. Die hintere Hälfte war der bessere Teil der Mauer. Vorne erzeugten die Bilder die größte Kredibilität, um so mehr schichtete die Jagd danach Schicht um Schicht Lack übereinenander, bis die kleinsten Schläge auf ihr große Stücke heraus brechen ließ. Die Stücke der Wand in den Tälern der Löcher, saugen den Lack schneller auf, als die wenigen Zentimeter Erhöhungen die sie umgeben. Dies erschwert sauber gezogenene Linien, geführt unter dem Druck unserer Daumen. Der hintere Teil wechselte seine Bilder nicht so oft, er war stets reserviert für ANUBIS und OMY. Bis zum Abriss waren immer wieder neue Bilder der Beiden zu sehen. Für Stunden tropfte unsere Farbe von den Rollen, auf dem Weg von Farbflaschen zur Wand, verwandelten die Straße in Drip-Art eines weniger ambitionierten Jackson Pollock Gemäldes. Farbspritzer auf dem Versuch Sprühdosen waagerecht zum Boden gerichtet, einen Namen auf ihr zu hinterlassen. Unsere orange Wand war wie die Grundierung eines frisch bespannten Keilramens. Es machte mich stolz Grundierer zu sein. Bei Sonnenaufgang würden die Menschen erscheinen, die ich so bewundere, die ich mich nie traute anzusprechen wenn man sie in großem Zufall malend an der Wand sah. Bei denen ich angewiesen war, dass sie meine Passivität nicht zu sehr abschreckte. Stunden vergingen und man konnte den Sonnenaufgang deutlich durch den Farbnebel riechen. Meter um Meter hatten wir nun eingefärbt. “V” nahm eine schwarze Dose aus seinem Kofferraum, schritt den lachsfarbenden Teil der Mauer ab, bezeichnete die Teilstücke mit den Namen die sich die Menschen selber gaben, Namen die nach gestalterischen Möglichkeiten der einzelnen Buchstaben ausgewählt wurden waren. Jeder bekam einige Meter. Alles war vorbereitet.

Der Tag begann und “V” holte mich ab. Ich konnte mir nicht viele verschiedene Farben leisten, so hatte ich drei Farben und das was ich aus Resten, abgelegte Dosen der Anderen, zusammen schnorren konnte. Zu verschiedensten Zeitpunkten kamen die verschiedensten Menschen, malten, fuhren wieder, kamen wieder, reagierten auf das was zwischendurch entstanden war. Es war ein Straßenfest. Und diese kleine Straße, abgezweigt vom Lärm der Industrie, war unsere. Die Musik war laut, ich bebte, beeindruckter von dem was entstand und nicht von dem was ich selber geleistet hatte. Dies war der große goldenen Pott voll mit buntem Gold welches man “DIY” nannte. Ich ging immer wieder ein paar Meter zurück, lehnte mich an die Mauer gegenüber, verschränkte meine Arme und beobachtete die Maler auf ihren Leitern, an der Wand. KEAS malte den Schriftzug “ZLATKO”. Es war der Sommer der ersten Big Brother Staffel. Es wurde durch die blaue Stunde hindurch gemalt, bis jeder Schimmer von violett gewichen war. Zu dunkel um jedes Wort zu fotografieren.

Wir fuhren so früh wie wir konnten los. “V” und ich, meine Digitalkamera. Die Sonne stand perfekt. Wenn keine Fotos existieren würden, wäre nichts was wir die letzten Tage geplant und gemalt hatten, nicht dokumentiert, nicht existent, nur noch eine Erzählung, ein eigener kleiner Mythos, nichts von Wert. Jahre würden vergehen und fast 20 Jahre später ist man sich selber nicht mehr sicher ob diese Bilder jemals gemalt wurden waren. An der Wand sahen wir, dass wir nicht die Letzten am Abend gewesen waren. Die Bilder eines bestimmten Malers wurden alle übermalt. Auswüchse eines Konflikts dem wir nichts entgegenzusetzen hatten. Die Arbeit war nicht mehr die selbe vom Tag davor. Die Wand war befleckt worden, so wie jedes mal zuvor, von uns, von vielen anderen, dafür wurde sie errichtet und von der Stadt geduldet. Ich fotografierte trotzdem, baute später aus den neuen Fotos und Schnappschüssen vom Tag davor eine komplette Ansicht. Dies war der Kreislauf von Errichtung und Abriss. Ich konnte mich dem nicht entziehen, etwas Einzigartiges nur durch meine Partizipation, sonst war es genau das was an dieser Wand passierte, Tag für Tag, Wochenende zu Wochenende. Und es war gut wie es war. Ein Ort um sich aus zu probieren, erstmal keine Gesetze brechen zu müssen.

Es war Heiligabend und der Spätgottesdienst war zu ende. Wir schloßen uns in unseren Jugendraum ein. Unausgesprochen hielten wir Geschenke von unserem Oberkörper weg. Eins für jeden Freund. Das erste mal Geschenke an Personen die man liebt, ohne ein Band des Blutes um die Kehle geschlungen zu haben. Dies war eine wunderbare Pflicht des nicht alleine seins. Meine Umhängetasche war gefüllt und ich beschloss alleine durch den Schnee nach Hause zu gehen. Die Flockenpartikel wuschen das Schwarze hinweg. Jede Kleinstquelle von Licht reflektierte das Weiß in der Luft. Ich liebe das Knacken unter meinen Füßen. Kurz vor der Haustür traf ich “S”. Ganz gekleidet in schwarz, Windbraker, Hose und Mütze. Geschultert eine Tasche die sonst in dieser Stadt eher für die Schichtarbeiter bekannt ist. Ein Zufall will es das darin perfekt 3 extra große Dosen Chrome und eine gefüllt mit schwarz-matt passen. Wir gingen ein paar wenige Meter, hielten unter einer Straßenlampe. Während ich im Gottesdienst saß, den ewig gleichen Weihnachtsliedern zuhörte, war es seine Ruhe und Besinnlichkeit nach der er diesen Abend suchte. Es war die Ruhe auf den Straßen, Familien weg gesperrt in den Wohnzimmern zur Bescherung, Kinder niedergelassen in ihren Bettchen. “S” ging raus und malte ein oder zwei Bilder. Nichts was besonders spektakulär wäre, keine Inszenierung. Es war die Nacht, das Geräusch von Schnee was ihn in die Nacht hinaus führte. Ich verstand ihn. Mich verließen niemals meine Gedanken an seine Motivation, das was er hinterließ sah ich täglich auf dem Weg zur Schule, nach all den Jahren immer noch auf dem Weg ins Büro.

Ich bin erwachsen, sträube mich jeden Tag und ergebe mich dem Fakt im nächsten Moment wieder. Ich fahre auf meinem Fahrrad durch die Straßen dieser Stadt und halte Ausschau nach den Bildern die mir so viel bedeuten. Es sind nicht viele mehr übrig. Irgendwann kamen die großen Farbspritzpistolen, durch riesige Kompressoren angetrieben, mit weißer Farbe gefüllt und zerstörten diese Bilder. Ich habe Angst ihre Linien mehr und mehr zu vermissen. Die Tags von MET, MOX, 3PS, die kleinen Throw Ups verblassen mehr und mehr. Aus dem Inneren heraus zerfällt ihre Farbe, der Lack hält doch nicht so ewig wie wir alle dachten. Am Ende meines morgendlichen Weg zur Arbeit stand diese Wand. Meine Wand, frei von Besitzansprüchen, eher meine Wand, Erinnerung die mit ihr verbunden waren und immer noch sind. Es hat nur ein paar Tage gedauert, erst stand nur noch die Aussenwand, dann fuhren große Baumaschinen auf dem Staub den sie selber produziert haben. Nichts ist nun mehr übrig.

Die Stadt war vielleicht einmal bunter, gefüllter von anderen Geistern. Vielleicht ist es auch das was jeder empfindet wenn er an die Städte seiner Jugend denkt, an die Wände, die Straßen und die Lichter. Alles ist überzogen mit süßestem Zucker aus Schmerz und der wundervollsten Art von Melancholie. Beißt man in die Erinnerung knackt es, und die Nervenenden zucken, wunderbar vom Schmerz verzerrt. Ich vermisse mich und diesen Stolz. Nun sind es Peinlichkeiten die man kaum herum erzählen möchte. Doch sie sind passiert, es gab sie, und ich halte daran fest.



Sie fliegen durch Gold

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Der Herbst strahlt die letzte Hitze und Sonne in unsere müden Gemüter und ich beobachte die ersten Vogel Formationen über den Dächern unserer Straße. Ich sehe das große schwarze “V” am am Himmel und beneide diese kleinen Kreaturen um ihren Weg und dem Zurücklassen Unsereins und der Menschlichkeit. In ihrere Winzigkeit sind so so schön, kleine Geschöpfe die durch Gold zu fliegen scheinen. Gold welches ich nur passiv und aus weiter Ferne beobachten kann.

Der Herbst strahlt die letzte Hitze und Sonne in unsere müden Gemüter und ich beobachte die ersten Vogel Formationen über den Dächern unserer Straße. Ich sehe das große schwarze “V” am am Himmel und beneide diese kleinen Kreaturen um ihren Weg und dem Zurücklassen Unsereins und der Menschlichkeit. In ihrere Winzigkeit sind so so schön, kleine Geschöpfe die durch Gold zu fliegen scheinen. Gold welches ich nur passiv und aus weiter Ferne beobachten kann. Ich werde nie Teil dieser Schönheit sein können. Ich hoffe ihr kommt bald wieder, und lässt mich nie wieder allein.



Nürnberg: Ein Wiedersehen

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Unser erster Nachmittag in Nürnberg seit fast einem Jahr. Als letztes packten wir unsere materialisierten Erinnerungen zusammen, putzten unsere Wohnung und übergaben unsere Schlüssel. “Nürnberg” bedeutete das erste mal “von Zuhause wegziehen”. Das erste mal lieben. Wir ließen es zurück um zurück zu kehren. Dorthin wo ich aufgewachsen und geboren bin. Dorthin wo ich nie wieder leben wollte. Mein Herz schien zu verstummen, als wir die Autobahn befuhren. Den Frankenschnellweg entlang und die letzten Meter im Stadtgebiet.

Unser erster Nachmittag in Nürnberg seit fast einem Jahr. Als letztes packten wir unsere materialisierten Erinnerungen zusammen, putzten unsere Wohnung und übergaben unsere Schlüssel. “Nürnberg” bedeutete das erste mal “von Zuhause wegziehen”. Das erste mal lieben. Wir ließen es zurück um zurück zu kehren. Dorthin wo ich aufgewachsen und geboren bin. Dorthin wo ich nie wieder leben wollte. Mein Herz schien zu verstummen, als wir die Autobahn befuhren. Den Frankenschnellweg entlang und die letzten Meter im Stadtgebiet. Wir zogen in den Norden, wir zogen in ein Haus, unser Haus, und das Leben fuhr fort. Ich versuche jeden Tag mein Fernweh, und zugleich Heimweh, zu vergessen, es zu verdrängen, weit weg zuschieben, es zu entlieben. Hoffnungslos. Ich stelle mir Nürnberg vor, wie es eingefroren, unter eine Glasglocke da steht. Rund angeordnet, in der Mitte der Berg mit der Burg, ein Miniaturwunderland. Ohne mich, nicht mehr lebensfähig. Und jetzt weiß ich, Nürnberg braucht mich nicht. Es hat mich nie gebraucht. Die einzige Glasglocke ist die Glasglocke über meinem Kopf. Manchmal raubt sie mir die Luft zum atmen. Ich habe diese Stadt fast ein Jahr gemieden und hatte den utopischen, selbstheilenden, Plan nie wieder ihren Boden zu betreten. Nicht weil sie mich verletzt hat. Ich habe mich durch ihren Verlust selber verletzt. Nun war es soweit und ich wagte eine neue Annährung. Offenes Visier und mit der Gewissheit alles zu riskieren. Ein Hotel gebucht und auf die Autobahn. Als wir die Brücke der Frankenwald Raststätte unterfuhren, tanzte mein Herz. Nur noch 90 Minuten. Wir fuhren Langwasser ab. Die Ausfahrt die 5 Jahre lang “Zuhause” bedeutete. Christine sagte: “Wir können um eine Stadt genauso trauern, wie um einen Menschen”. Vorbei an dem Burger King mit dem abgeschlagenen Reichsadler. Dem chinesischen Restaurant, welches uns auch nach 23 Uhr, Montags, mit Tofu versorgte. Vorbei am Bäcker, in dem wir unsere Sonntagmorgende verbrachten. Die Supermärkte die ich jeden Tag besuchte, um mich mit frischer Cola Light auszustatten. Und endlich, die Straße in der wir wohnten. Wir hielten Ausschau nach all den kleinen Veränderungen. Jede Baustelle und jedes Geschäft. Und es war wie jede andere Fahrt zuvor, vom Dutzendteich in die Innenstadt. Das Hotel liegt am Bahnhof. Dort wo wir uns das erste mal gesehen haben. Dort hat sich damals alles für mich verändert. Wir checkten ein und gingen in die Stadt. Ich hielt mich an Christines Hand fest. Ich drohte an ihr abzurutschen, wegzugleiten. Durch den Bahnhof entlang der Vitrine, ein Ausstellungsort der Kunstakademie in Nürnberg. Ich erkannte die Gesichter der Obdachlosen auf den Treppen zum K4. Die Nacht war lauwarm, die Menschen um herum liefen mit ihren Smartphones vor den Gesichtern herum. Pokemon Go.

Pegnitz

Wir hatten Hunger und sahen das Istanbul. Das beste türkische Restaurant in dem ich je gegessen habe. Nicht das ich in vielen bis jetzt war. Vorstellen konnte ich es mir doch. So gut war das Essen hier. Ich brauche mir nicht einzubilden das ich in dieser Stadt immer noch wohne. Seit ich den Bahnhof verlassen habe und meine tägliche Route in Altstadt betrat, war ich immer noch da. Würde ich nach Hause gehen wollen, würden ich die Straßenbahn Richtung Dokumentationszentrum nehmen, eine halbe Runde um den Dutzendteich laufen, die Menschen im Biergarten sehen, die Liebespaare am Ufer, die thematisch dem Reichsparteigelände angemessenen Hochzeitsfotoshootings, die Alkoholiker am Imbißstand. Dann würde ich die Haustür aufsperren, zwei Stockwerke überwinden und unseren Kater davon abhalten die Treppe Richtung Haustür hinunter zu steigen. Nun setzten uns nach draussen um die Wärme des aufgeheizten Innenstadt Asphalts zu genießen. Hummus und einen Bauernsalat, so wie immer. Mir fielen die Menschen auf die ihre Blicke nicht von den Handys lassen konnten. Türkische Nachrichten und diesmal anscheinend kein Pokemon Go. Ein Putschversuch des türkischen Militärs. Eine Nacht vorher der Terroranschlag auf eine Menschenmenge, die nur das Feuerwerk zum Nationalfeiertag bestaunen wollten. Die BILD würde titeln: “WANN ENDET ENDLICH DIESER FLUCH: Christine und Marvin verreisen”. Ende letzten Jahres, als wir gerade in einem Hotel in München uns eingecheckt hatten, wir gerade noch ein Sandwich auf der anderen Straßenseite, im Ost-Bahnhof, gegessen hatten und Terroristen zeitgleich Menschen in Paris erschossen. Unser geliebtes Paris. Wir lagen die ganze Nacht wach und lauschten Deutschlandfunk, als wir erschöpft von der Fahrt, unsere Hände haltend, einschliefen. Oder im Frühling. Wir waren gerade in Paris angekommen. Beim Anziehen, um als peinlicher Tourist die Straßen der Stadt zu betreten, um von einem Leben in dieser Stadt zu träumen, hörten wir von dem Attentat in Brüssel. Nun also wurde unsere Rückkehr mit einen Militärputsch kommentiert. Wir hatten uns rausgesetzt. Ich wollte die Stadt mit ihren Menschen sehen. Ich fühlte mich unsichtbar. So wie die Menschen an uns vorbei zogen, es wirkte alles unantastbar, passiv auf mich. Wie ein Theaterstück, das nur für uns aufgeführt wurde, bei dem wir nur die Zuschauer waren und vor einem Jahr aufgehört haben Darsteller zu sein. Wir aßen unseren Hummus, den Bauernsalat mit warmen und wunderbar weichen Fladenbrot. Als wir bezahlten fragte Christine die Bedienung ob er die aktuelle Lage in der Türkei verfolgt. Er antwortete trocken “Erdogan muss sterben”. Wir nahmen uns an die Hand und gingen durch die erleuchtete, freitägliche Stadt. Hinunter zur Pegnitz. Die Temperatur war wunderbar mild und die Teenager waren auf dem Weg in die Disco, oder halt dort wo junge Menschen halt so hingehen. Selbst als ich jung war, wußte ich nie wo das war. Meine Augen fielen fast zu, mein Gehirn schwer, herrenlos eingetaucht in einen See aus einer Melange aus alten Eindrücken, vergangenen Situationen, fest eingebrandt, und der Erkenntnis, das Nürnberg gleich geblieben war. Im Hotel schliefen wir zu den Live-Berichten aus Istanbul ein. Ich traute mich nicht den Fernseher auszuschalten.

Nürnberg

Der Plan war all unsere Lieblingsorte zu sehen. Natürlich schränkte sich die Liste auf einen geografischen Bereich ein. So hatten wir die Chance einiges sehen zu können. Was akribisch klingt war eine Vorsichtsmaßnahme um sich treiben lassen zu können. Die kleinen Orte und Plätze zu bereisen, die uns so am Herzen liegen. Meine Skepsis war riesig. Der Bäcker, an dem wir sonst öfters frühstückten gab es nicht mehr. Ein kleines Detail auf unserer Reise. Ein Brötchen zu essen mit dem Blick auf den Spalt der zu dem neuen Museum leitet. Wir suchten weiter und gingen leicht widerwillig in einen anderen Bäcker, in dem wir zuvor nicht sehr oft gegessen haben. Eine Prioritätenliste muss es geben, sonst spült uns unsere Nostalgie die Stadt hinunter. Und es würde nächstes mal noch schwieriger sein zu überleben. Ich schlug vor in den Buchladen des neuen Museums zu gehen. Hier verbrachten wir einst immer Stunden. Oft kauften wir nichts, da Ausstellungskataloge der finanzielle Ruin bedeuten. So bräuchte man eigentlich alle, fängt man damit an. Doch all die Bilder die wir sahen, all die wir in unseren Herzen speichern konnten, konnte uns niemand mehr eintreißen. Sie verblassen vielleicht, ordnen sich neu an, doch ihre Schönheit am Tage als wir sie sahen, bleibt für immer. Christine suchte eine Ferienlektüre, ein Buch von Focault. Ich interessierte mich für die neuen Fotografiebände und die Sonderangebote. Erstmal blieb von der Zeit in dem Laden nichts in unseren Taschen zurück. Nürnberg heizte sich weiter auf, so weiter wir zogen.

Dutzendteich IX

Christine fand ein Geburtstagsgeschenk und wir schwammen weiter und weiter. Dieser Comicladen, bei fast jeden Besuch in der Innenstadt verbrachte ich Zeit dort. Hier fühlte ich mich sehr wohl, auch wenn ich von all dem kaum etwas verstand. Ich las und durchblätterte immer das was mir gefiel. Eins meiner liebsten Bücher ist Blankets von Craig Thompson. Hätte ich Christine nie kennengelernt, würde jetzt ein Motiv aus diesem Buch meinen Körper zieren. Irgendeine monumentale Zeichnung einer Doppelseite dieses Buchses. Ich glaube ich nicht ich den Schmerz ertragen hätte, doch war ich fest davon überzeugt, dies wäre ein gutes, mit Persönlichkeit aufgeladenes erstes Tattoo. Es sollte mich daran erinnern wie hoffnungslos die Liebe ist und Vergangenheit nicht heilen kann. Diese Erlebnisse würden nie unseren Körper, durch all seine Öffnungen, verlassen können. Das Erscheinen neuer Bücher von ihm markieren immer wieder bestimmte Stellen in meiner Biografie, im Kampf gegen das erwachsen werden. Sein neustes Buch wanderte in unsere heilige Artefaktensammlung.

Die Burg

In Wolfsburg gibt es keine Plattenläden. Die Kundschaft die sich Schallplatten als Dekorationsmittel in den Wohnzimmerschrank stellt, wird gut von Media Markt und Müller versorgt. An einem Winterabend, im ersten Winter in Nürnberg, bog ich einmal falsch ab und stand in einer Straße in der sich drei Plattenläden befanden. Meine Augen und Mund öffneten sich, die Pupillen weiteten sich und das Adrenalin eines Abhängigen schoss in die Bereiche des Gehirns in dem das unstillbare Verlangen verortet war. Ein Laden hieß Music and Books. Bücher und Musik. So kann man sich mit allem vollständig umgeben was einem wichtig ist, wichtiger als vieles andere auf dieser Welt. Wir betraten das Geschäft, eher ein Tempel, und der Inhaber warf uns ein Lächeln entgegen. Wir bildeten uns ein er hätte uns wiedererkannt. Wir zogen an den neu-arrangierten Regalen entlang. Ich hasse Veränderungen. Der Inhaber hat sich ein neues System für die Unmengen an Second-Hand Ware ausgedacht. Ein System das nur für ihn einen Sinn zu machen scheint. Immer wieder hörten wir seine Versuche es den Kunden zu erklären. Er scheiterte und die Kunden schienen einfach aufzugeben. Es wäre so einem Laden unwürdig gewesen, würde es von einen System verwaltet werden, welches von Jedem verstanden werden hätte können.

Meine Beine fingen langsam an zu schmerzen. Wir gingen von einem Ende der Altstadt zum anderen Ende. Ein nicht endender Zyklus, in dem man sich zu verlieren versucht. Immer und immer wieder. Wie die vorgezeichneten meditativen Wege, die Mönche abschreiten um sich und ihre Seele zu reinigen. So vergaßen wir auf unserem Weg das Leben, das wir nun im Norden führen. Wir haben Nürnberg nie vergessen oder verlassen. Und dies gefiel mir sehr. Wir brauchten noch ein Buch um gut ausgerüstet zu sein für die Rösttrommel. Ich habe diese Kaffeerösterei, mit angeschlossenen Cafe, erst spät entdeckt. Nicht das es nur ein Cafe mit tollem Kaffee ist, es ist die Atmosphäre, der Geruch von frisch gerösteten Kaffeebohnen.Es ist perfekt. Hier verbrachten wir teilweise Stunden über einem Buch, über Notizen, Christine neben mir am zeichnen. So wollte ich immer Leben. So etwas hatte ich vorher nicht gekannt, mir nur vorstellen können. Ich trank einen Kaffee, und noch einen, nahm Pfund für Pfund mit in unsere kleine Nürnberger Wohnung. Der Kaffee war ein Versuch diese eingebildete Kreativität mit zu nehmen, sie nicht los zulassen. So schloss ich meine verkrampften Hände um diese Vorstellung. Doch nun mussten wir wieder los. Wir kamen an all möglichen kleinen Lädchen vorbei. Alle verbunden mit kleinen Geschichten oder Erlebnissen. Der Kunsthandel in dem wir fast eine kleine Beuys Zeichnung gekauft hätten (das Wort “fast” ist der Versuch eine Traumvorstellung auszuleben, in dem man zum Kunstsammler aufgestiegen sei), das Kino in dem wir regelmäßig Filme sahen, das legendäre Copy-Land, in dem wir Christines Studienzeit verbrachten, riesige Farbabzüge machten, Zulassungsarbeitsentwürfe binden ließen, uns kaum ein Weg zu weit war um dorthin zu gelangen. Der einzige Kopierladen in dem alles zu klappen schien, Charlies Schokoladenfabrik, nur mit dem Geruch von Toner und warmen, frisch bedruckten Papier. Ja, wir wussten das immer zu schätzen. Wir gingen vorbei an Restaurants über Restaurants, viele Dates zu allen Zeitpunkten unserer Liebe.

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An dem Platz an dem sonst der Christkindlesmarkt statt findet war heute ein Austragungsort einer Bio-Messe. Der Platz war aufgefüllt mit der unweigerlichen Vermengung von Esoterik und gesundem Essen. Es ist mir ein Rätsel wieso man das Eine nicht ohne das Andere bekommt. Meine geliebten veganen Aufstriche müssen nicht aus, mit Lichtenergie angereicherten, Bärlauch hergestellt sein. Ich brauche kein Granderwasser oder Lebensmittel auf deren Einband der Barcode durchgestrichen ist. Die Barcodes, so glaubt man, seien Antennen die schlechte und bösartige Energien auf die Lebensmittel ununterbrochen abgeben. Lebensmittel für Dumme. So wie ich seither auf der Suche nach einer homöophatiefreien Apotheke bin, suche ich eine esoterik freien Biomarkt. Ich kann den Anblick der Bachblüten-Notfall-Bonbons nicht mehr ertragen. Wir gingen vorbei am Stand mit Hanf-Pesto, das von barfüssigen, mit Perlenketten behangenen und langbärtigen Männern verkauft wird. Wir kauften zwei Aufstriche und fühlten uns ein wenig dreckig dabei.

Ein paar Minuten ins Hotel zurück. Oft fuhren wir genau diese Straße entlang. Sie lag auf dem Heimweg aus der Altstadt zurück in unsere Wohnung. Wir beobachteten die Mengen an Touristen die die Hotels in den lauen Sommerabend verließen. Bepackt mit riesigen Rucksäcken und Einkaufstüten. Diese Straße lag direkt neben dem Schienennetz, welches zum zentralen Hauptbahnhof führt. Folgt man den Schienen Richtung München, führen sie direkt an unserer alten Wohnung vorbei. Direkt unter dem Fenster unseres Schlafzimmers. Das Geräusch von wuchtig vorbeitreibenden Zügen kann so schön sein, wenn man die letzten Momente wach, die Augen gerade geschlossen, das Rattern der Waggons, vorbei ziehen hört, während man neben der Person liegt die man liebt, für die man seine Geburtsstadt verlassen hat.

Wir hatten nur ein paar wenige Minuten zum ausruhen. Ein wenig frisches Wasser in mein Gesicht werfen bevor es weitergeht. Zwei Dinge standen noch auf unserer Liste. Wie sich herausstellte sind diese beiden Punkte im Jahr unserer Abwesenheit zu Monolithen verschmolzen. Das Burger-Restaurant Auguste ist, aus ihrer namensgebenden Straße, in das K4 gezogen.

Vielleicht macht das K4 das Leben in Nürnberg so beneidenswert. Kino, Ausstellungsräume, Konzertsäle und mehrere offene Werkstätten. In so einer haben wir unsere ersten Siebdrucke hergestellt. Eins der Sachen die ich immer schon probieren wollte aber nie dachte die Kompetenz dafür aufbringen zu können. Hier im K4 gibt es viele nette Menschen die einen einweisen in das jeweilige Handwerks. Mehr oder weniger kommt man dann zu dem Stück das man sich erträumt hatte hier zu erschaffen. Ich stelle mir vor, dass unsere Siebe immer noch in den Schränken der Siebdruckwerkstatt auf uns warten. Das wir durch dieses Artefakt nicht vergessen wurden. Irgendwann wurden sie bestimmt gefunden,mit dem Hochdruckreiniger bearbeitet, jede Farbe aus den Sieben herausi getrieben haben, jede einzelne kleine Masche des Trägers, und die Stadt wird nie gewusst haben wer wir waren, wohin wir verschwunden sind. In einem der Konzertsäle haben wir in einer Sommernacht getanzt. Der Raum war blau erhellt, und videoprojizierte Wale schwammen die Wände entlang. In diesem Blau fühlte ich mich erstaunlich jung, weit weg und doch Zuhause, frei von Problemen, Leid und Krankheit, bildete mir ein tanzen zu können. Es schien nicht von Gewicht. Es gibt zu wenig von diesen Momenten. Momente an denen man existiert, und das auf die schönste Art und Weise. Man vergisst wer man ist und wer man gerne sein will. Alles scheint in perfekten Klang, das Licht, die Musik und die Person an seiner Seite. Nun saßen wir nebenan in diesem großartigen Burgerrestaurant und hatten kaum Hunger. Doch wir mussten einfach uns einfach hier aufhalten.

Holga 20110427

Unser Tag folgte einer akribisch geführten Liste. Dies musste so sein. Sonst hätten die Vorhaben begraben werden können, unter alten Erinnerung und Geschichten, alles was ich mit dieser Stadt je verband. Jeder schöne Moment der in meiner Abwesenheit zu einem weiteren Einschnitt wurde. Ich kann dies überwinden, es abheilen lassen. Doch dies scheint viel Zeit zu brauchen. Mehr Zeit als Kraft oder Willen. Zulassen muss ich es irgendwann ja doch.

Es gab da eine Band die ich zurück ließ. Es gab genau eine Probe und die Woche nach diesem Zusammentreffen kam die Entscheidung in den Norden aufzubrechen. Umso zerstörerischer hätte die Einladung zu einem Konzert dieser Band am Abend sein können. Dort würde mich eine alternative Zeitleiste auf der Bühne empfangen. Was hätte wenn, sein, können, wie. Wir trafen uns einmal in diesem Proberaum, draussen in Fürth Nord. Er lag in einem kleinen Industriegebiet. Der Größe Fürths angepasst. Eher eine Industriestraße. Ein Haus das wohl zu einem früheren Zeitpunkt ein oder zwei Firmen beheimatet hat. Nun sind dort kleine Proberäume für Bands. Der Raum, in dem ich an diesem Tag mein Equipment aufbaute, schien bei einem weiteren Gitarrenverstärker einfach aufgeben zu wollen. Aufgefüllt mir einem riesigen Schlagzeug-Set das nur eine weitere Bass-Drum und zwei kleine Tom-Toms von Neal Peart entfernt war. Es stapelten sich Synths die Wände hoch. Ich sollte heute die Percussions spielen. Auch wenn ich viel lieber Schlagzeug gespielt hätte, ich versuchte besonders experimentell zu wirken. Ich wusste sofort das diese Fassade fallen musste. Ein Pandeiro als Bassdrum, Snare, Hi-Hat und ein Ride. Trotz meinem virtuosen Kontrollverlust wollte ich nach dieser Probe weitermachen. Auch wenn ich wusste, dass die Anzahl der Tage abnehmen würde, an denen ich die Chance gehabt hätte, Teil einer Band sein zu können. Ich erinnere mich an die wunderbar stickige Sommerluft. Wir gingen an einem Sommertag und wir kamen an einem Sommertag wieder. Drei ganze Jahreszeiten ausgelassen in dieser Stadt. Als ob sie nie stattgefunden haben. Die Sommer in Nürnberg waren die schönsten meines Lebens. Nach der Probe standen wir in unseren verschwitzten T-Shirts einfach wortlos im Raum, der Nebel der Nebelmaschine schient zu erkalten aber nicht zu verfliegen, die Ohren piepsten einfach weiter und dem Druck der vergangenen zwei Stunden. Wir überlebten als Band, als Freunde, nur einen einzigen Abend, ein paar witzlose Stunden. Im Laufe der Zeit kommen immer wieder Bilder in mein Gedächnis. Es sind falsche Erinnerungen, ausgedachte Stunden mit Freunden. Es hätte alles so schön sein können.

Die Band ließ auf sich warten und wir spazierten kopflos über die zahlosen Pegnitz-Brücken. Das Licht fing an zu dämmern und das Restblau schimmerte im Fluß. Als wir am Konzertort angekommen war, schien alles so klar. Ich war nicht mehr Teil. Ich war nie Teil. Doch nun konnte nicht mal die Illusion überleben je Teil gewesen zu sein. Am Tisch Menschen mit denen man schon einmal zuvor an Tischen saß. Niemand konnte etwas sagen. Nichts, was der Situation gerecht gewesen wäre. Und da wurde es mir bewusst. Weg mit, der über allem schwebenden, Romantik von “Hier war alles besser”, nichts würde mir meine Zeit in dieser Stadt rauben können. Doch so viel liegt noch vor mir. Die Zeit mir Ihr, meiner Frau. Der wahre Grund wieso ich Nürnberg so liebe.



Wolfsburg Unlimited

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Wolfsburg Unlimited - Eine Stadt als Weltlabor: 24.04.2016 - 11.09.2016 Kunstmuseum Wolfsburg Da standen wir vor dem architektonischen Plänen eine Wasserstraße durch die Wolfsburger Innenstadt zu fräsen. Wasser gegen Beton und Granit. Ich mag die Idee. Es gehört zur Grundaufgabe im ersten Semester an der Kunstakademie Nürnberg aus dem Plärrer, die Drehscheibe des öffentlichen Nahverkehrs, in etwas annehmbares zu verwandeln. Etwas das weniger nach grauen Leben aussieht und mehr nach dem wie sich Nürnberg anfühlt wenn man durch die Altstadt spaziert, die sich nur wenige Meter weit weg befindet.

Wolfsburg Unlimited - Eine Stadt als Weltlabor: 24.04.2016 - 11.09.2016 Kunstmuseum Wolfsburg

Da standen wir vor dem architektonischen Plänen eine Wasserstraße durch die Wolfsburger Innenstadt zu fräsen. Wasser gegen Beton und Granit. Ich mag die Idee. Es gehört zur Grundaufgabe im ersten Semester an der Kunstakademie Nürnberg aus dem Plärrer, die Drehscheibe des öffentlichen Nahverkehrs, in etwas annehmbares zu verwandeln. Etwas das weniger nach grauen Leben aussieht und mehr nach dem wie sich Nürnberg anfühlt wenn man durch die Altstadt spaziert, die sich nur wenige Meter weit weg befindet. Eine Idee war es den Platz einfach zu fluten. Etwas mehr Venedig und weniger graue Wüste. Den da wo Wasser ist, kann etwas nicht völlig entstellt sein. Jahre später stehen wir vor dem Plan des Kunstmuseums das gleiche mit der kompletten Innenstadt zu tun. Straßen aus Wasser. Auf den Darstellungen spielen Kinder am Ufer. Sie scheinen in einer schöneren Stadt groß zu werden als ich es damals tat. Auch wenn alles nur eine Illusion ist. Vor meiner Geburt bestand die komplette Fußgängerzone aus befahrbaren Straßen. Was ein Paradox. Die Menschen an den Rand geschoben und das Auto im Mittelpunkt. Die Prioritäten dieser Stadt klar verteilt. Ich kenne Wolfsburg nicht anders. Nur das seit meiner Geburt die Fußgängerzone exklusiv begehbar war. Eine kleine Metamorphose, erst Auto, dann Mensch und nun Wasser. Am schönsten wenn dieses Element uns den Platz raubt. Ein Hauch Venedig, in nur nicht so schön. Aber ein Versuch wert.

Wolfsburg Tristesse

Dieser Plan zur Umgestaltung ist Teil der Ausstellung Wolfsburg Unlimited. Wir Wolfsburger wenden viel Zeit auf uns von diesem Ort zu distanzieren. Sie zu leugnen und ihre Bedeutung für uns, von uns, auf ein Minimum zu mindern. Es ist die Stadt in der ich geboren und aufgewachsen bin. Zwischendurch war ich weg und bin nun wieder zurück.

Wolfsburg sehnt sich nach Identifikation, weit weg der Selbstverleugnung. Als wir vor einigen Monaten in Paris waren, sprach uns ein in Frankfurt lebender Amerikaner an und fragte woher wir kommen. Als wir Wolfsburg erwähnten sagte er: “Sehr häßliche Stadt, aber gute Kunst”. Es spricht nichts dagegen eine Arbeitermetropole zu sein und Kunst ist immer ein guter Weg aus der Identifikationskrise. Ich ziehe oft den Vergleich mit Manchester. Ja, weit hergeholt, aber aus dieser grauen Stadt sind die vielleicht besten und einflußreichsten Bands hervorgegangen. Und das mit Musik die komplett diese Farben der Stadt in ihrem Sound vor sich her trugen. Was mich am meisten an der Volkswagen Krise bewegt ist die Beflecktheit auf unseren einzigen Identifikationsstifter. Stirbt der Konzern, stirbt Wolfsburg mit ihm und ihrem letzten Hauch Bedeutung. Nicht das uns der jemals zugesprochen wurde. Trotzdem blieb uns etwas auf das wir ein Stolz ähnliches Gefühl abbilden konnten. Oder es uns zumindestens einbilden konnten.

Wolfsburg Tristesse

Vielleicht ist diese Ausstellung genau zur richtigen Zeit. Ein letzter Ankerwurf in dieser schwierigen Zeit. Ich hatte mir nie Gedanken über Heimat gemacht. Es gab nur irgendwo Wolfsburg und ich zog nie große Vergleiche zu der handvoll anderer Städte die ich kannte. Dann kam ich an meinen Ausbildungsplatz und auf einmal musste ich mich täglich für den Ort rechtfertigen an dem ich geboren bin. Wolfsburg erzeugt bestimmt nicht diese romantischen Fantasien wie Berlin oder Paris. Wir leben hier nur.

Im ersten Raum der Ausstellung wurden alte archäologische Artefakte aus dem Stadtgebiet aufgebahrt. Überreste eines alten Kanus aus dem städtischen Badesee und alte Gemälde aus der namensgebenden Burg. Der See ist Teil eines streng durchgeplanten Naherholgungsgebietes im Norden der Stadt. Eine Fläche die den Arbeitern Ablenkung schenken soll von den, im Akkord vorbei rauschenden, Autoteilen am Band in der Fabrik. Hier steht auch die Volkswagen Arena. Seit dem wir in der ersten Bundesliga spielen bieten wir noch eine, zum Wochenende potenzierende, Angriffsfläche für den Spott der Anderen. Keine Tradition und keine Fans. Genau das sind wir. Vielleicht schon einmal was von uns gehört. Schrödingers Fans. Gerne könnte ich darauf verzichten. Im nächsten Raum treffen wir auf den Erdenker dieser Stadt: Adolf Hitler. Er gründete die Stadt des KdF-Wagens. Ein großer Brocken mit dem man leben muss. Anscheinend suchen wir uns gerne Städte aus in denen das 3. Reich eine große Rolle gespielt hat. Unterbewusst. Unser geliebtes Nürnberg und nun Wolfsburg. Vorbei zogen wir an Fotos der hakenkreuzbeflakten Grundsteinlegung und Hitlers erster Käfer-Skizze. Danach, chronologisch angeordnet, Wirtschaftswunder, die deutsche Grundspießigkeit und der Beginn meiner eigenen Zeitrechnung. Meine zwei Bewerbungen, gescheitert, und das letzte 3/4 Jahr voller Schuld und Ungewissheiten. Überall in der Stadt in Herzen eingefasste Volkswagen Logos, Je suis Volkswagen, Segnungen für VW in den gläubigen Gemeinden. Uns ist klar, die Wurzeln dieser Stadt sind die nationalen und internationalen Autokäufer. Meine eigenen Wurzeln liegen in den Generationen von Arbeitern meiner Familie drüben auf der anderen Seite des Mittellandkanals.

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Die Stadt versucht viel um das Andenken an diese Zeit zu bewahren. Auch wenn wir es nicht so mit Tradition haben, trotzdem stehen wir in diesem riesigen Schatten. So groß das man ihm kaum entfliehen kann. Ich habe mal eine Geschichte gehört, dass das “Wolf” im Namen der Stadt dem Spitznamen des Führers entsprungen ist. Aus dieser Geschichte entstammt der Name der Kirchengemeinde “Lammburg”. Immer präsent. Wir schreiten weiter die Wand der VW Geschichte ab und landen an einer Fotografie von Douglas Gordon. Er steht mit einem Schild mit der Aufschrift “Psycho” an Ende der Braunschweiger Straße. Wie ein Anhalter der zu seiner eigenen Ausstellung mitgenommen werden will. Am Ende der U-förmig angeordneten Zeitleiste, im zweiten Raum, ein Ad-Busting Plakat das auf Dieselgate eingeht. Dieses hing zur großen Klimakonfernz in Paris. “Yes we cheated”. Deneben ein Monitor der den Versuch eines nicht gut aussehenden, aufgedunsenen, fiebrig wirkenden Martin Winterkorn zeigt, sich bei der Welt für die Folgen des Kapitalismus zu entschuldigen. Zu diesem Zeitpunkt war schon alles gelaufen. Ertappt. Den meisten Arbeitern war der Wettstreit über die verkauften Autos mit Toyoto relativ egal. Trotzdem überwand man die legalen Mittel um noch mehr zu verkaufen und schuf damit den Abgrund in den ich jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit blicken muss.

Wir verschwanden schnell hinter die nächste Tür zum Hauptwerk der Ausstellung. Wir verliessen die “Hall of Fame” und betraten “Midwest”. Ein amerikanischer Verladeort, aufgefüllt mit Containern, inklusive Bodenbelag, Müll und Schlafplätzen für Obdachlose. Flackernes Industrielicht aus den Straßenlaternen und das Zirpen von Grillen. Betritt man dann das Innere dieser Containerstadt offenbart sich ein Autokino inklusive Snackbar. Gezeigt wird eine filmische Choreografie des Künstlers Julian Rosefeldt. So länger man dort umher wandert verliert man das Empfinden und fühlt sich als sei man durch die Schranktür in ein häßliches Narnia getreten. Man befindet sich nicht mehr im Inneren eines sonst so sauberen Whitecubes. Der feine Museumsboden zum Teil überbetoniert und mit Schotter überseht, so ist es kaum möglich mehr zu erahnen wo man sich gerade befindet. Die Container bilden eine Schlucht und türmen sich bis unters Museumsdach. Hinter der Autokinoleinwand ein falscher Sonnenuntergang. Weit in der Ferne, die Sonne fast nicht mehr sichtbar. Das Kino wirkt durch Spiegel so breit, das man nicht mehr an einen abgeschlossenen Raum denken kann. Selbst der Blick von der Empore macht die Szenerie surreal.

Wolfsburg Tristesse

Der nächste Raumabschnitt im Stadtlabor heißt “Gallerie Nordhoff”. Benannt nach dem wichtigen Vorstandsvorsitzenden in den 60er Jahren. In der wichtigsten Zeit Wolfsburgs. Die Zeit die den größten Wohlstand brachte und die Stadtlandschaft prägte mit ihren kleinen, spießigen Ein-Familien Häusern. Platz für 1 1/2 Kindern, Frau und Hund. Er war vielleicht wichtiger als jeder Bürgermeister der Stadt. Am Anfang diesen Ausstellugnsbereich wird ein kurzer Film aus der Zeit gezeigt. Er könnte den Familienalben meiner Großeltern entsprungen sein. Allesamt Arbeiter dieser Stadt. Kinderfotos meines Vaters vor den Hochhausanlagen. Dort liegen die Grundwerte und Familiengeschichten die diese Stadt ausmachen. Etwas an diesen alten Filmaufnahmen holt etwas tief vergrabenes in mir hervor. Eine mit Familie verknüpfte Melancholie. Etwas was mich meine Eltern in die Arme schließen lassen will. Noch mehr als sonst.

Ein Bild finde ich besonders beeindruckend. Heinrich Nordhoff steht erhoben auf einer Empore, nah in die Kamera blickend, hinter sich die versammelte Belegschaft des Wolfsburger Werkes. Aufgereiht, die gesammte Straße entlang.

In den nächsten Räumen beginnt die zeitgenössische Auseinandersetzung mit Wolfsburg. Ich überfliege viele Arbeiten. Ich schnappe einige Bilder und Textfetzen auf. Letzten Sommer, kurz nachdem ich wieder nach Wolfsburg gezogen bin, begann der Abgassskandal. Zu meinen allgemeinen Zweifeln kam auch noch dieses über dem Kopf hängende Schwert mit der Aufschrift “Dieselgate”. Meine Dunkelkammer noch nicht aufgebaut, wollte ich meine ersten Bilder in der Innenstadt machen. Ich tue mir mit so einer Aufgabe schwer, aber es sollte eine Auseinandersetzung mit meinem gestörten Verhältnis mit meiner Heimat sein. In den Arbeiten der hier ausgestellten Künstlern fehlt mir der Bezug. Dies liegt vielleicht daran, das der Museumsleiter Wolfsburg eher als eine Extraktion des gesamten Landes sieht. Alles konnte ich an diesem Mittag nicht verarbeiten. Es sind zu viele Eindrücke die mich beschäftigen. Eindrücke die alle Stufen einer Emotionstabelle abdecken könnten. Oft gehe ich in Ausstellungen und bin danach über alle Ohren inspiriert oder auch bewegt. Diese Ausstellung mit ihrer Auflistung der Facetten und Geschichten der Stadt trifft mich ins Herz. Und das ziemlich hart und unvorbereitet. Und am Ende weiß ich immer noch nicht wie es in dieser Stadt weitergehen soll.



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